Neuigkeiten 2023

26.03.2023

„Kontinuum“ – ein ästhetischer Wetterbericht

02.01.2020

Installation von Ursula Damm und Felix Bonowski, 2021
Kuratorin: Yvonne Volkart
Kunst am Bau im Auftrag der Eawag: Das Wasserforschungsinstitut des ETH-Bereichs, Dübendorf bei Zürich

Kontinuum auf der Website der EAWAG

Felix Bonowski kontrolliert das generative Videobild, Eawag FLUX Gebäude, Dübendorf bei Zürich 2021

Die Kunstinstallation „Kontinuum“ von Ursula Damm und Felix Bonowski ist eine generative Zwei-Kanal-Projektion. Sie basiert auf Live-Daten des Chriesbachs, der an der Eawag vorbeifliesst.
Die beiden Projektionen repräsentieren eine bestimmte „Realität“ des Chriesbachs und seines Flusses im Verlaufe eines Jahres. Beide übersetzen Daten zu jahreszeitlichen Schwankungen, Farbmustern und physikalischen Prinzipien des Baches in sinnliche Bilder, die an impressionistische und japanische Malerei erinnern. Indem die Installation das Äussere ins Innere, das Wasser in das FLUX-Gebäude, das Objekt der Beobachtung an den Ort seiner Untersuchung bringt, reflektiert sie das „Kontinuum“ des Baches und die Funktion des Hauses auf ästhetische Weise.

Die Farbprojektion sammelt Bilder des Chriesbachs und dessen Bewohner
Echtzeitbilder von drei Kameras werden durch einen Grafik-Shader geleitet. Dieser basiert auf klassischen Lernregeln eines neuronalen Netzes, das sich Farben in Bereichen mit hoher Aktivität „merkt“. Das resultierende Video ist eine Collage aus kombinierten Aspekten des visuellen Erscheinungsbildes des Chriesbachs aus verschiedenen Zeiten und Blickwinkeln. Mit ihren täglichen Veränderungen dienen die Bilder als eine Art ästhetischer Wetterbericht.


Die Schwarz-Weiß-Projektion ist eine Live-Simulation eines Flusses, der sich durch ein von Felsen übersätes Tal schlängelt. Ausgehend von einem Ökosystem aus Nährstoffen, Primärproduzenten und grasenden Mikroorganismen des Flusses zeigt sie digital, wie die Welt aussehen würde, wenn die Natur diesen Regeln folgen würde. Die Formeln, welche die Form der Landschaft, die Dynamik der Strömung und die Entwicklung des Lebens in der Simulation bestimmen, werden mit Werten parametrisiert, die aus tatsächlichen Echtzeitmessungen der physikalischen Wassereigenschaften abgeleitet werden.
Temperatur, Sauerstoffsättigung und Trübung hinterlassen ihre Spuren
Die Messungen werden von einer vom Forschungsinstitut betriebenen Station durchgeführt, die nur wenige Meter von der Stelle entfernt ist, wo die Kameras auf den Bach blicken. Die Korrespondenzen zwischen den Messungen und den Modellparametern sind so gewählt, dass jahreszeitliche Veränderungen (Temperatur), Tagesrhythmen (Sauerstoffsättigung durch Photosynthese) und gelegentliche Ereignisse (Trübung durch Gewitter und Bauarbeiten) ihre Spuren in den Grafiken hinterlassen. Die Simulation verwandelt sich von einem Tal mit wenigen großen Felsbrocken in ein (virtuelles) Flussbett mit vielen kleinen Kieselsteinen, von einem emergenten biologischen Muster in ein anderes, von einem langsam mäandrierenden Fluss in einen heftigen Strom. Dadurch zeigt sie sich als ein Wesen in ständigem Wandel.
Am rechten Rand jeder Projektion greift die Bildlogik der jeweils anderen Projektion ein, so dass sich die Farbdaten des Live-Streams und die Muster der Schwarz-Weiß-Simulation überschneiden: Kontrastreiche Bewegungen in der farbigen Projektion (z.B. Licht-Reflexionen oder schwimmende Blätter) werden zu Linien, Kratzern und Löchern in der Schwarz-Weiß-Projektion. Sie erscheinen als Kräfte, die das organische Leben auslöschen und das Bild zerstören. So wird deutlich, dass kein Bild und keine „Realität“ für sich stehen, sondern durch vielfältige Zugänge in Frage gestellt, gestört oder interpretiert werden können.

Videodokumentation der Installation
Zwei Projektionen, Vordergrund Simulation
Zwei Projektionen, korrespondierend
Ansicht der Projektion mit bearbeitetem Video, das eine Ansammlung von Wasserbewegungen zeigt
Video auf der Website der Eawag

Technik


Zweikanalprojektion: Ein Video basiert auf Live-Kameraaufnahmen, welche Lernregeln eines neuronalen Netzes anwendet; der Input erfolgt über drei Außenkameras am Ufer des Baches. Das zweite Video zeigt eine Simulation basierend auf Perlin-Rauschen, Navier-Stokes-Solver, Reaktionsdiffusionskinetik, parametrisiert mit Live-Messungen von Sauerstoffgehalt, Temperatur und Trübung; der Daten-Input erfolgt über Live-Datenmessungen des Wasserforschungsinstituts.

Echtzeitdaten von Chriesbach für den Simulationsbildschirm
Kameras observieren den Wasserlauf des Chriesbachs
Positionierung der Kameras
Kamerahalterung
Felix Bonowski installiert die Kameras

Details und technisch-ästhetische Entscheidungen


Das generative Video


Das Videobild besteht im Grunde genommen aus einem Differenzbild. Bei einem solchen wird ein stetig aktualisiertes Videobild von einen ausgangs gespeicherten Referenzbild abgezogen. Die Differenz dieser Bilder zeigt die Bildveränderung an und rechnet sie der Videoausgabe hinzu. Diese Veränderung wird nach speziellen, dem maschinellen Lernen entlehnten Regeln dem Ausgangsbild aufaddiert. Verfestigt sich das Bild infolge gleichförmiger, stetig gleicher Veränderungen, dann wechselt das Programm zu einer anderen Kamera, und zwar zu dieser, die sich am deutlichsten von dem aktuellen Bild unterscheidet. Diese Bildlogik machte die Installation von drei Kameras notwendig. Das jeweils neu zugespielte Bild verändert das Display dann großflächig. Durch dieses Verfahren werden Strukturelemente von Licht und Wasser hervorgehoben. Die Verfestigungen nannten wir im Verlauf des Arbeitens „Sedimente“, welche grafische Eigenschaften von natürlichen Systemen herausarbeiten. Durch das Austarieren verschiedener Berechnungsmethoden sowie verschiedener Farbräume konnte das Bild an die Situation in Dübendorf angepasst werden, so dass der farbige „Wetterbericht“ Minima wie Maxima visuell lesbar machen kann.

Die Simulation


In dieser Simulation war es unser Ziel, ein synthetisches Äquivalent zu einem Wasserdampf zu schaffen, mit den Elementen Landschaft (eine sich langsam entwickelnde Struktur, die den Rahmen bildet), Fluss (Bewegung von Material um Hindernisse herum), Leben (lokalisierte Reaktionen, die emergente Muster bilden) und Wetter (variable äußere Einflüsse).

Das simulierte System sollte in der Lage sein, als Reaktion auf Parameteränderungen eine Vielzahl unterschiedlicher, aber eindeutig zusammenhängender visueller Erscheinungen zu erzeugen, so dass Änderungen der physikalischen Chriesbach-Eigenschaften zu erkennbaren Veränderungen der für die Besucher sichtbaren Muster führen.
Alle Komponenten mussten so realisiert werden, dass sie eine Echtzeitberechnung in hoher Auflösung ermöglichen und stabil genug für einen kontinuierlichen, unbeaufsichtigten Langzeitbetrieb sind.
Die Muster in der Simulation werden durch Reaktions-Diffusions-Prozesse gebildet, die von „klassischen“ Touring-Mustern inspiriert sind, unter Verwendung eines Gray-Scott-Modells, das um eine verbrauchbare „Nährstoff“- und eine wiederauffüllbare „Sauerstoff“-Komponente erweitert wurde. Nur die „Raubtier“-Komponente ist sichtbar.
Jedes Pixel hat eine Reihe von Zustandsvariablen (Nährstoff, Sauerstoff, Räuber, Beute), die miteinander reagieren. So reagieren Pixel beispielsweise wie Räuber, welche Beute fressen, um mehr Räuber zu produzieren. Pixel diffundieren auch in ihre Nachbarschaft entsprechend der sie umgebenden Konzentration. Der Transport durch die Strömung wird realisiert durch lokale Vergleiche von Konzentrationen in Bewegungsrichtung.
Als sog. „Nährstoff“ wird „frisches“ Wasser aufgefüllt, das seitlich in die Simulation eintritt. Da dieser „Nährstoff“ im Laufe der Zeit verschwindet, schränkt er das Wachstum in Bereichen ein, die lange Zeit keine Strömung erfahren haben. Dies trägt insbesondere zu einem schön anmutenden Verfall von Strukturen an „Flussufern“ bei, die kürzlich über den Grundwasserspiegel gestiegen sind.
Auch hier war es ein wesentliches Ziel der Datenprozessierung, über das Jahr hinweg mit den verschiedenen Ereignissen (Schneeschmelze, Hochwasser) Unterschiede und Höhepunkte im visuellen Geschehen zu erreichen.

Blick auf die Projektion mit manipuliertem Video, das eine Ansammlung von Wasserbewegungen zeigt
Echtzeit Ausspielung der sog. ‚Bachcam‘

Projektbeschreibung PDF

Dies ist das Konzeptvideo mit Beispielen für verschiedene interessante Momente